Start der Kältehilfe-Saison
Wohnungsnot erschwert Kampf gegen Obdachlosigkeit
Das Europäische Parlament stellte 2020 fest, dass Wohnen ein grundlegendes Menschenrecht ist, und forderte von den Mitgliedsstaaten stärkere Maßnahmen, um die Obdachlosigkeit in der EU bis 2030 zu beseitigen. Diesem Ziel haben sich sowohl der Bund wie auch Berlin angeschlossen. Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030: das klingt einfach zu schön, um wahr zu sein! Sich humanitäre Ziele zu setzen ist wichtig - aber sie müssen der Realität standhalten, und derzeit erscheint es leider mehr als unwahrscheinlich, dass in sechs Jahren in Berlin kein Mensch mehr wohnungslos, das heißt ohne eigenen Mietvertrag ist. Die Wohnungsnot in Berlin ist schlimmer denn je. Seit Corona nimmt die sichtbare Straßenobdachlosigkeit in der Hauptstadt wieder zu. Viele Menschen sind psychisch beeinträchtigt, suchtkrank und obdachlos. In den letzten Jahren wurden viele Strategien entwickelt und gute Ansätze zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit umgesetzt. Doch trotz aller Anstrengungen stehen wir nun erneut vor einer weiteren Kältehilfesaison, die mit Notschlafplätzen verhindern soll, dass Menschen im Winter auf unseren Straßen erfrieren. Der Schlüssel bleibt weiterhin der fehlende Wohnraum.
Messbare Schritte, um Wohnungslosigkeit abzubauen und künftig zu vermeiden
Damit wir vorankommen, plädiere ich für die Festlegung von jährlich nachprüfbaren - also messbaren -Schritten, um Wohnungslosigkeit abzubauen und künftige zu vermeiden. Dieses Ziel muss eines der wichtigsten Gesamtziele Berlins bleiben. Denn dazu müssen alles Ressorts, Bezirke, Wohlfahrtsverbände und viele mehr eng zusammenarbeiten. Dieses Vorgehen wird aufzeigen, ob man auf dem richtigen Weg ist.
Wirksame Wohnungslosenhilfe statt Sparmaßnahmen
Darüber würde man auch sehr schnell einen Überblick über wirksame Instrumente erlangen und kann seine Strategie nachschärfen. So zeigt sich schon jetzt, dass die die 67er-Hilfen nach SGB XII, die nach einer Erhebung der QSD jährlich 2.000 Menschen aus der Wohnungslosigkeit herausholen und weiteren 1.000 Menschen in Berlin helfen, ihre Wohnung zu erhalten ein hochwirksames Instrument ist. Das sind Angebote, um die Wohnungslosigkeit abzubauen auf die Menschen in Not unter bestimmten Voraussetzungen bereits heute einen Rechtsanspruch haben. Doch schon jetzt werden diese Hilfen oft aus Kostengründen nicht gewährt. Wir befürchten, dass auch noch weiter der Rotstift angesetzt wird. Wer Obdachlosigkeit abbauen will, darf nicht am falschen Ende sparen. Ansonsten sind alle hehren Ziele und Aktionspläne Makulatur. Spardruck im Berliner Haushalt besteht ohne Zweifel, aber ein massiver Abbau in der Wohnungslosenhilfe und Suchthilfe würde automatisch bedeuten, dass mehr Menschen auf der Straße leben und dort verelenden. Maßnahmen wie Abschließen von Parks in der Nacht oder das Räumen von öffentlichen Plätzen führt nur zur Verdrängung in die Nebenstraßen und Hauseingänge der Nachbarschaft. Wohnungslosenhilfe ist genauso wie andere soziale Angebote eine Investition in die Humanität dieser Stadt und in die Innere Sicherheit und somit den sozialen Frieden.
Wir müssen die Spirale nach unten stoppen
Solange die Obdach- und Wohnungslosigkeit noch nicht abgeschafft ist, müssen wir weiterhin alles tun, um einen menschenwürdigen Umgang mit obdach- und wohnungslosen Menschen zu garantieren. Hierfür ist es sehr wichtig, qualitativ bessere Rahmenbedingungen in ASOG-Unterkünften zu schaffen. Den sozialen Wohnhilfen gelingt es kaum mehr, den gesetzlichen Anspruch auf ordnungsrechtliche Unterbringung umzusetzen, nicht einmal über Hotelunterbringungen, da diese kaum noch von den Betreibern angeboten werden. Wir benötigen also bis auf Weiteres deutlich bessere ausgestattete ASOG-Unterkünfte, wenn wir nicht wollen, dass die Obdachlosigkeit auf unseren Straßen stetig zunimmt oder auch die Kältehilfe - die an sich einen Substandard darstellt - immer weiter ausgebaut werden muss, sofern das überhaupt möglich ist. Wir müssen die Spirale nach unten stoppen. Dafür brauchen wir mehr begleitende Angebote - vor allem aber verfügbaren Wohnraum. Hier schließt sich der Kreis.
Die Menschlichkeit darf nicht auf der Strecke
Zu einem menschenwürdigen Umgang gehört auch die Sicherstellung einer (zahn-) medizinischen und auch psychiatrischen Versorgung für alle - unabhängig vom Versicherungsstatus. Die Landesgesundheitskonferenz hat einen Konzeptentwurf für ambulante Gesundheitszentren mit verbesserten fachlichen Standards erarbeitet. Diese dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen umgesetzt und finanziert werden. Am Beispiel unserer Caritas-Krankenwohnung, die ein wichtiges Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung darstellt, zeigt sich gerade in finanzieller Hinsicht die ganze Fragilität. Wir wissen auch im nächsten Jahr nicht, wie eine Finanzierungslücke von fast 300.000 Euro geschlossen werden kann, damit der Weiterbetrieb gesichert ist. Sparen wir nicht an der falschen Stelle, sonst bleibt nicht nur die Menschlichkeit auf der Strecke - es entwickeln sich auch hohe Folgekosten. Die ambulante Gesundheitsversorgung inkl. der Krankenwohnung ist nicht nur für viele wohnungslose Menschen die einzige Behandlungsmöglichkeit; sie entlastet auch das vielfach teurere stationäre Krankenhaussystem.
Zum Schluss noch ein Hinweis: Die Caritas hat sich vorgenommen, die Wohnungslosigkeit noch stärker ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Unter dem Titel "KEIN RAUM - Begegnungen mit Menschen ohne Obdach", wird die Caritas - mit Unterstützung der Aktion Mensch - während des Festival of Lights Gesichter von wohnungslosen Menschen an Berliner Gebäude projizieren. Wir wollen mit den Porträts der Fotografin Debora Ruppert diejenigen sichtbar machen, die viel zu oft übersehen werden und die öffentliche Wahrnehmung auf Menschen um uns herum lenken, die kein Dach über dem Kopf haben.