Ein beeindruckendes Bild: fast 50 Mitarbeitende aus 16 verschiedenen Diensten der Caritas-Wohnungslosenhilfe in Berlin gruppieren sich im Gemeindesaal von St. Elisabeth in Schöneberg nach Bezirken und Stadtteilen. Von Marzahn bis Charlottenburg, von Reinickendorf bis Adlershof helfen sie Wohnungslosen, Männern, Frauen, Familien, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Regionalleiter Berlin, Frank Petratschek, geht von Gruppe zu Gruppe und stellt die Dienste vor: Ambulante Wohnungslosenhilfe, Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot, Notübernachtungsstellen, Kältehilfeprojekte, Arztmobil, FrauenWohnen, Besondere Soziale Wohnhilfe.
Erstmals versammelte sich die Caritas-Wohnungslosenhilfe Ende November zu einer Gesamtkonferenz. Unter dem Thema "Christliche Werte und kirchliches Profil in der Caritas-Wohnungslosenhilfe" nahm der Fortbildungstag die christliche Identität der Caritas und ihre Verortung in der Kirche in den Blick, mit Vorträgen, Podiumsdiskussion und Arbeitsgruppen wie "Biblische Zugänge zur Wohnungslosenhilfe", "Was ist das Christliche an unserer Arbeit" oder "Grenzen des Helfens - Woher ziehe ich Kraft?".
Entflammt und inspiriert in den Pastoralen Prozess
Anlass für diese Art von Gesamtkonferenz ist der Pastorale Prozess "Wo Glauben Raum gewinnt". Die neue Nähe der Caritas zur verfassten Kirche, die der Pastorale Prozess einfordert, nutzt die Caritas im Erzbistum Berlin, um sich tiefer mit ihrer christlichen Grundhaltung auseinanderzusetzen. So kam bereits im vergangenen Jahr die Caritas-Suchtkrankenhilfe in ähnlicher Weise zusammen. In den nächsten Monaten sollen weitere Dienste und Bereiche folgen. "Wir wollen uns besser kennenlernen und zugleich über unseren Tellerrand der Caritas, auf die Kirche in den Pfarreien, hinausblicken", fasst Kai-Gerrit Venske, Fachreferent der Caritas-Wohnungslosenhilfe und Organisator der Gesamtkonferenz, die Ziele zusammen.
Mit dem Start der Entwicklungsphase in zahlreichen Pfarreien finden sich Dienste und Einrichtungen der Caritas als Orte kirchlichen Lebens und damit als handelnde Akteure in ihren Pastoralen Räumen wieder. "Wir machen diese Gesamtkonferenz, um entflammt und inspiriert in den Pastoralen Prozess zu gehen", betont daher auch Frank Petratschek. Die Mitarbeitenden sollen Spaß daran finden, ihre Pastoralen Raum mitzugestalten. Die neue Nähe der Caritas zur verfassten Kirche löse allerdings bei so manchem Skepsis und auch Ängste aus, so Petratschek. Immerhin gehörten nur 50 Prozent aller Mitarbeitenden einer christlichen Kirche an: "Es fragen sich Kolleginnen und Kollegen plötzlich: ,Bin ich eigentlich katholisch genug für die Caritas?‘"
Caritasdirektorin Ulrike Kostka machte gleich zu Beginn der Konferenz deutlich: sie steht zu der bunten Vielfalt ihrer Mitarbeiterschaft. Ausschlaggebend sei für sie die Haltung des einzelnen und nicht die Kirchenzugehörigkeit. Kostka spricht vom "Funkeln in den Augen der Menschen", dass sie bei Caritasmitarbeitenden wahrnimmt, "wenn es um den Menschen geht und um die Frage: warum mache ich das hier eigentlich?" Die Haltung eines Mitarbeitenden zeichne sich darin aus, wie er sich gegenüber seinen Klienten verhalte, wie er sie ins Recht setzte, sie ernst nehme. "In unserem Glauben ist jeder Mensch ein Geschenk Gottes, jeder trägt diesen göttlichen Funken in sich", verweist Kostka auf die christlichen Werte.
"Caritas ist Kirche"
Ausdrücklich betonte sie, dass sich Caritas als Kirche versteht: "Wir sind Kirche! Mit allen Vor- und Nachteilen." Alle Mitarbeitenden müssten sich daher mit der Kirche zurechtfinden und auch damit, dass diese nicht immer konfliktfrei in der Gesellschaft stehe. Im spirituellen Angebot der Kirche sieht die Caritasdirektorin eine Chance für ihre Mitarbeitenden, egal ob sie einer christlichen Kirche angehören oder nicht. "Je herausfordernder meine Arbeit wird, umso mehr werden mir meine spirituellen Wurzeln wichtiger. Darin liegt für mich eine persönliche Kraftquelle", berichtet sie aus ihrer eigenen Erfahrung.
Daniela Bethge von "Caritas rund um den Kirchturm" informierte in ihrem Vortrag "Wo Glauben Raum gewinnt … ist Platz für Wohnungslose!" über den Ablauf des Pastoralen Prozesses, über Findungs- und Entwicklungsphase, Pastoralausschuss und Pastoralkonzept. Sie ermutigte, sich aktiv im Pastoralen Prozess zu engagieren und Netzwerke aufzubauen. "Wir haben eine Perspektive, die anderen fehlt. Darum ist es wichtig, dass wir als Caritas, wir als Wohnungslosenhilfe bei dem Pastoralen Prozess dabei sind und unsere Perspektive einbringen." Möglichkeiten hierfür gebe es genug und nicht alles müsse im ganz großen Engagement im Pastoralausschuss eines Pastoralen Raums münden. Man könne auch nur mal den Pfarrer oder den Pfarrgemeinderat in die Einrichtung einladen, um sich besser kennenzulernen, oder die eigene Arbeit im Sonntagsgottesdienst vorstellen.
Caritas-Dienste das Nahrohr der Gemeinden
Während der anschließenden Podiumsdiskussion und den Gesprächen in den Pausen wurde deutlich: die Mitarbeitenden der Caritas-Wohnungslosenhilfe wünschen sich mehr Vernetzung mit Pfarreien und Orten kirchlichen Lebens, Caritas und Pastoral vor Ort wüssten noch zu wenig voneinander. So heißt es, Kirche sei für Menschen, die mit Kirche nichts zu tun haben, oftmals nur erfahrbar durch die Caritasarbeit vor Ort. Oder: Man sei das "Nahrohr" für die Gemeinden und daher in der Lage, Pfarreien zu helfen, ihr Umfeld noch einmal anders wahrzunehmen. Ganz praktisch fragt ein Mitarbeiter: "Inwiefern kann uns die engere Zusammenarbeit mit den Pastoralen Räumen in unserer Arbeit helfen, einfacher Wohnraum für Wohnungslose zu finden?"
"Wir werden mit Kirche identifiziert. ,Sie sind doch die Caritas, Sie sind doch die Kirche‘, hören wir immer wieder", meint Petra Siegberg von der Ambulanten Wohnungslosenhilfe Südwest. Sie erhofft sich, dass die verschiedenen Bereiche der Kirche künftig mehr umeinander wissen, um suchende Menschen weitervermitteln zu können. Henrik Leverkus von der Ambulanten Wohnungslosenhilfe Kreuzberg findet die Idee gut, seine Arbeit in den Kirchengemeinden vorzustellen. "Vielleicht kann man ja so Vermieter finden oder auf Menschen aufmerksam werden, die vor Ort von Wohnungslosigkeit bedroht sind." Selbst gehört er keiner Kirche an, fühlt sich jedoch angeregt, die spirituellen Möglichkeiten von Kirche zu entdecken: "Den Akku in der Kirche aufzuladen, einen Ort zu haben, wo man die Seele baumeln lassen kann, könnte etwas sein." Cornelia Räthel, bis vor kurzem noch im Krisenhaus in Weißensee tätig, engagiert sich im Pastoralausschuss ihres Pastoralen Raumes. Wie bereichernd Vernetzung sein kann, hat sie selbst erfahren. So lud sie die Sternsinger der Pfarrei in ihre Einrichtung ein oder vermittelte Klienten in ein Praktikum an die katholische Kita.
Dass auch von Pfarreien sehr viel Karitatives ausgehen kann und sich daher eine intensive Vernetzung von Caritas und örtlicher Pastoral durchaus lohnt, machte Pfarrer Kalle Lenz aus dem Pastoralen Raum Nord-Neukölln deutlich. "Kirche muss sich dort verwirklichen, wo die Menschen sind. Wir wollen daher mit wachem Auge durch die Welt gehen", zeigte sich Lenz in seinem Vortrag "Kirche im sozialen Brennpunkt" überzeugt. Mit dem Pallotti-Mobil, Café Platte, Kirchenasyl, der Sprachenschule JACK engagierten sich die Pfarreien seines Pastoralen Raumes mit sozialen Projekten für Arme, Wohnungslose und Flüchtlinge. Außerdem stellten sie ihre Räumlichkeiten Außenstehenden zur Verfügung, die sich mit dem Konzept des Pastoralen Raums vereinbaren lassen. Dass Glaube und Spiritualität im sozialen Engagement Kraftquelle und Ruhepol sein können, unterstrich Lenz: "Je länger wir uns in der sozialen Arbeit engagiert haben, umso spiritueller wurden wir." In aussichtslosen Situationen sage er sich: "Mit Gott überspringe ich Mauern. Das hilft."
Text: Alfred Herrmann