Mittendrin statt außen vor
"Die Caritas ist meine große Familie, Elena und Thomas sind wie Geschwister und Kordula ist wie eine zweite Mutter", so beschreibt Micha aus Eritrea in ziemlich gutem Englisch die Beziehung zu seinen Caritas-Helfern. Seit einem Jahr wohnt er mit seiner Frau, seiner Schwägerin und seinen drei Kindern, davon zwei vierjährige Zwillinge, im Caritas-Wohnverbund für Flüchtlinge in Fürstenwalde, einer Brandenburger Stadt mit 32.000 Einwohnern. Michas 65 Quadratmeter große Wohnung liegt in einem gewöhnlichen Plattenbau. Hier lebt seine Familie zwischen deutschen, serbischen und arabischen Mietern. Bis zu zwei von zehn Wohnungen je Aufgang werden von Flüchtlingen genutzt.
v.l. Kordula Kalkoswiski, Micha, Elena BurghardtWalter Wetzler
Nach seiner Ankunft in Deutschland war Micha mit seinen Angehörigen zunächst in einem Zelt in München und dann in "Eisen" untergekommen, so nennen die Flüchtlinge die Erstaufnahmestelle des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt. "Hier in Fürstenwalde bin ich glücklich", sagt Micha erleichtert. Im Gegensatz zu den Massenunterkünften können sich seine Kinder nun auf ihre Hausaufgaben konzentrieren. "Im Lager war es immer so laut, es gab ständig Störungen und Unruhe, beschreibt er seine früheren Erfahrungen". Micha hat einiges hinter sich. Auf seiner Flucht irrte er mit seiner Familie drei Wochen durch die brütend heiße Sahara, eingepfercht auf der Ladefläche eines Pickups, der mit 35 Menschen vollgestopft war. Über den Sudan ging es dann nach Libyen, wo er, seine Frau, seine Schwägerin und die Kinder Monate in einem Gefängnis verbringen mussten, bis die Flucht über das Mittelmeer nach Sizilien fortgesetzt werden konnte. Über die Erfahrungen der Frauen im Gefängnis schweigt er. Es sind erschütternde Geschichten, die viele Flüchtlinge zu verkraften haben. Nun setzen sie hier ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang. Damit dieser Anfang so gut wie möglich gestaltet werden kann, hat die Caritas das Konzept vom Wohnverbund für Flüchtlinge entwickelt.
Micha (l.) mit Thomas ThiemeWalter Wetzler
Die Idee stammt von Thomas Thieme, Caritas-Beauftragter im Landkreis Oder-Spree und Beratungsspezialist in Sachen Migration. "In der Gemeinschaftsunterkunft lebt eine Flüchtlingsfamilie meist nur in einem Raum. In einem Apartment des Wohnverbundes ist die Atmosphäre viel entspannter. Familien, die einen am Schulalltag orientierten Lebensrhythmus entwickeln wollen, finden bessere Bedingungen vor. Die Unterbringung in Wohnungen fördert die Integration viel mehr, als wenn Leute abgeschottet in Heimen leben", so Thieme. Es scheiterte früher schlicht daran, weil das Asylgesetz vorgibt, Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Da kam Thieme die Idee, das Ganze als Wohnverbund, und damit als alternative Form einer Gemeinschaftsunterkunft zu definieren. So hatte die Caritas auch die Möglichkeit, Flüchtlinge in Wohnungen zu betreuen. 2013 reichte er sein Konzept dann beim Sozialamt ein. Anfang 2014 akzeptierte das Land dann diesen Ansatz und ein Probelauf mit den ersten vier Wohnungen in Fürstenwalde begann. Dazu kam, dass in Fürstenwalde und im Landkreis Oder-Spree viele Plattenbauwohnungen leer standen und renovierungsbedürftig waren. Ein win-win-Prinzip für alle. "Inzwischen haben wir 85 Wohnungen im Landkreis in denen etwa 400 Menschen leben", freut sich Thieme. Das Konzept ist einfach wie genial. Der Landkreis, der Flüchtlinge unterbringen muss, mietet die Wohnungen, die Caritas stattet sie aus und betreut die Flüchtlinge mit Sozialarbeitern und Sozialbetreuern. "Wir helfen den Flüchtlingen dabei, im normalen Leben anzukommen. Wir begleiten und beraten sie, organisieren Sprachkurse und Ausbildungsplätze, vermitteln bei Problemen" so Heike Krüger, die den Caritas-Wohnverbund leitet.
Heike KrügerWalter Wetzler
"Wenn eine Familie bei uns einzieht, muss es schnell gehen. Innerhalb von drei, vier Tagen muss alles reibungslos klappen. Beim Sozialamt und der Ausländerbehörde anmelden, Konto eröffnen, Kindern einen Kita- oder Schulplatz besorgen", erklärt Krüger routiniert die Vorgehensweise. Hierfür sorgen engagierte Caritas-Sozialarbeiterinnen wie Elena Burghardt und Kordula Kalkowski. Oder auch Nassim, der vor den Taliban aus Afghanistan fliehen musste, inzwischen deutscher Staatsbürger ist und seit 2015 im Caritas-Wohnverbund als Sozialbetreuer arbeitet. Seine vielfältigen Sprachkenntnisse sind von großem Nutzen. Nassim spricht Paschtu, Dari, Farsi und inzwischen auch sehr gut Deutsch. "Das habe ich mir selbst beigebracht", sagt er stolz. Durch seine eigene Fluchtgeschichte, die jahrelange Trennung von seiner Familie und den tragischen Verlust seines Sohnes, der ärztlich unversorgt in einem pakistanischen Flüchtlingslager starb, kann Nassim nachfühlen, was viele Geflüchtete durchmachen mussten. Integration wird im Wohnverbund umfassend verstanden. Neben der Hilfe für Geflüchtete bei der Eingliederung in die Gesellschaft hat die Caritas auch ehemalige Langzeitarbeitslose als Hausmeister und Fahrer im Wohnverbund eingestellt. Sie richten die Wohnungen her, schauen nach der Heizung oder bringen Flüchtlinge an schlechter angebundenen Orten des Wohnverbundes zu Arzt- und Amtsterminen. Manch öffentlicher Bus im Landkreis fährt nur zwei Mal am Tag, da geht ohne den Caritas-Fahrdienst wenig.
Das Caritas-HandwerkerteamWalter Wetzler
Michael Schulz, Benjamin Thomas und Danny Templin sind inzwischen ein starkes Team, das strahlen die drei aus. Ihr Caritas-Handwerkermobil ist mit allem Nötigen ausgerüstet. Dass sie ihre gelernten Fähigkeiten einbringen können, bezeichnen sie als großes Glück. Als Heizungsbauer, Gas- und Wasserinstallateur und Mechatroniker fühlten sie sich nach langer Zeit ohne Beschäftigung nicht mehr gebraucht. Sie wurden von einer Arbeitsförderungsmaßnahme zur nächsten geschoben. "Das ist mein erster fester Job seit zehn Jahren", freut sich Schulz. Unser nächstes Ziel ist Storkow, eine Kleinstadt mit etwas über 9000 Einwohnern, 20 Kilometer südlich von Fürstenwalde. Vorbei an gelben Rapsfeldern geht es mit Heike Krüger über idyllische Alleen zum sogenannten Friedensdorf in Storkow, dem Sitz der Projektleitung des Caritas-Wohnverbundes. Gemeinsam mit ihrem Team betreut Krüger hier Flüchtlinge in umliegenden Wohnungen und im nahe gelegenen Theodor-Storm-Viertel, einer kleinen gepflegten Hochhaussiedlung. Zum Caritas-Team in Storkow gehören Sead Beganovic, der selbst als Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina kam und nun als Dolmetscher im Wohnverbund arbeitet und die Caritas-Sozialbetreuerin Liudmyla Vidler, die aus der Ukraine stammt. Mit ihr fahren wir zu einer betreuten Wohnung. Uns erwartet eine tschetschenische Familie. Die Mutter Taus und ihr Mann Lechi leben hier seit 18 Monaten mit ihren vier Kindern im Alter von fünf bis sechzehn Jahren. Taus hat eine Erwerbserlaubnis und ist begeistert von ihrer Arbeit in einem nahen Altenheim. Ihre Jungs gehen zur Schule und betreiben leidenschaftlich Taekwondo in einem Storkower Sportverein. "Wir fühlen uns hier sehr wohl und hoffen, bleiben zu können", erklärt Taus in russisch. Ihr Mann, Lechi, schaut nachdenklich und scheint sich viele Gedanken um die Zukunft zu machen. Zum Verhältnis mit den anderen Hausbewohnern sagt Taus: "Alle helfen sich hier. Man muss mit den Nachbarn bloß reden". Im Hintergrund spielt ihre fünfjährige Tochter Aymani auf einer Couch, daneben ein kleiner Spielschminktisch und eine Deutschlandfahne.
v.l. Lechi, Aymani und Taus aus TschetschenienWalter Wetzler
Direkt nach dem Einzug hatte Heike Krüger die kleine Aymani gefragt, was sie in der Wohnung am tollsten finde. Sie antwortete: "Das erste Mal in Ruhe schlafen können" und malte ein großes buntes Bett. Das hängt jetzt in Aymanis Zimmer. "Das Gute ist, dass sich der Landkreis schon sehr früh zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen entschlossen hat", so Katja Kaiser, kommissarische Leiterin des Amtes für Ausländerangelegenheiten und Integration in Beeskow. Wir haben gemeinsam mit Trägern, Kommunen, Handwerkskammer und Agentur für Arbeit ein umfangreiches Integrationskonzept erarbeitet, bei dem die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen eine wichtige Rolle spielt. "Uns ist es wichtig, offen miteinander umzugehen und auch mal mutige Entscheidungen zu treffen", so Kaiser. Gute Voraussetzungen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Micha aus Eritrea meint es jedenfalls ernst mit der Integration. Er will auf Dauer in Fürstenwalde bleiben. Seinen ältesten Sohn hat er Matthias genannt. Matthias geht in die 2. Klasse und spielt begeistert Fußball. Für ihn und seine beiden jüngeren Geschwister ist Deutsch die Muttersprache, erzählt Micha lächelnd.
Text: Thomas Gleißner, Pressesprecher und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.