BERLIN: Seit
Jahresbeginn können Langzeitarbeitslose ihr Arbeitslosengeld II durch so
genannte Ein-Euro-Jobs aufbessern. Auch die Caritas bietet solche
Arbeitsgelegenheit an, bislang mit guten Erfahrungen. Letztendlich können alle
Seiten von den Ein-Euro-Jobs profitieren: Die Arbeitslosen - weil sie eine neue
Chance bekommen -, die Einrichtungen der Caritas - weil viele Arbeiten erledigt
werden können, die sonst auf der Strecke bleiben würden - und die Menschen in
den Einrichtungen - weil die Arbeitslosen die Zeit haben , mit ihnen spazieren
zu gehen oder ihnen vorzulesen.
Ruth Keseberg-Alt,
verantwortlich
für die Koordinierungsstelle "Ein-Euro-Jobs" des Caritasverbandes für
das Erzbistum Berlin, ist ein wenig heiser. Nicht nur, dass sie eine
Frühjahrserkältung nicht ganz ausgeheilt hat – zurzeit führt sie in ihrem
freundlichen Büro auch ständig Bewerbungsgespräche mit langzeitarbeitslosen
Menschen, die auf einen Ein-Euro-Job bei der Caritas hoffen.
Mit der
Koordinierungsstelle mit dem bezeichnenden Namen „Neue Chance“ ist ein hoher
verwaltungstechnischer Aufwand verbunden. „Wir betreuen jeden einzelnen
Bewerber. In Gesprächen versuche ich herauszufinden, für welchen Einsatzbereich
sich ein Langzeitarbeitsloser wirklich eignet und welche Wünsche er an seine
Tätigkeit hat“,
erklärt Ruth
Keseberg-Alt ihre Arbeit. Eine der Prämissen der Caritas ist die
Freiwilligkeit: „In unseren Diensten geht es ja nicht um eine Ware, die produziert
wird, sondern um den Dienst am Menschen. Das ist ein hochsensibler Bereich und
die Teilnehmer müssen diese Arbeit auch wirklich leisten wollen.“ Ein Referent,
zwei
Sachbearbeiterinnen und eine
Sekretärin – alle in Teilzeit - stehen Ruth Keseberg-Alt zur Seite, um die
Verwaltungsaufgaben zu meistern. Sie organisieren einen Einführungstag, an dem
die Teilnehmer über ihre Rechte
und
Pflichten informiert werden. Sie bereiten Qualifizierungsmaßnahmen für die Arbeitssuchenden
vor, versichern sie gegen Unfälle und Krankheit, dokumentieren mögliche
Abbrüche und halten natürlich ständig Kontakt zu den zuständigen örtlichen
Jobcentern, die die Ein-Euro-Jobs bewilligen.
Ein-Euro-Jobs
bei der Caritas verdrängen keine Arbeitsplätze
Eine Grund-Voraussetzung dafür ist, dass die Jobs
zusätzlich sind und keine festen Arbeitsplätze verdrängen. Seit in Berlin bei
anderen Anbietern von Ein-Euro-Jobs Missbrauchsfälle bekannt wurden, in denen
die Ein-Euro-Jobber reguläre Arbeitskräfte ersetzten, gibt es strenge Kontrollen.
Um zu überprüfen, ob die beantragten Arbeiten tatsächlich unbedenklich für den
ersten Arbeitsmarkt sind, werden in der Hauptstadt für jeden Bezirk Beiräte mit
Vertretern der Jobcenter, der Industrie- und Handelskammer und der Vereinigung
der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg gebildet. Die Prüfungen sind sehr
genau und ziehen sich oft lange hin: Der Caritas wurden seit Dezember letzten
Jahres von 450 geplanten Ein-Euro-Jobs in 167 Einrichtungen im Bistum bis jetzt
erst rund 100 bewilligt. Dabei ist der bürokratische Aufwand riesig. „In Berlin
beispielsweise gibt es zwölf Bezirke mit 12 zuständigen Jobcentern und 12
Ansprechpartnern mit zum Teil ganz unterschiedlichen Auffassungen, welche Jobs
zusätzlich sind“, erzählt Ruth Keseberg-Alt.
Oft müssen immer wieder neue Konzepte zu den Anträgen nachgereicht
werden.
Wie
sehen Ein-Euro-Jobs aus?
Denkbar ist zum Beispiel, dass
Ein-Euro-Arbeitskräfte im zusätzlichen Betreuungs- und Begleitdienst der
Caritas-Einrichtungen eingesetzt werden: Sie lesen kranken und alten Menschen
vor, machen Spaziergänge mit Rollstuhlfahrern oder arbeiten im Hol- und
Bringdienst für Patienten. Auch eine zusätzliche hausmeisterliche Tätigkeit ist
denkbar - wenn die Arbeitskraft etwa Mängel erkennt und sie dem Hausmeister meldet,
nicht aber selbst behebt. Gärtnerische Hilfskräfte unterstützen fest
angestellte Gärtner der Einrichtungen und führen Arbeiten aus, die sonst
vermutlich auf der Strecke bleiben würden, wie beispielsweise Papier
aufsammeln. Ein Einsatz in der erzieherischen Tätigkeit ist möglich als
zusätzliche Betreuung der Kinder in Pausenzeiten oder als zusätzliche
Begleitung bei Ausflügen. In der zusätzlichen hauswirtschaftlichen
Hilfstätigkeit können die Arbeitskräfte bei der Essensausgabe helfen oder beim
Wäschereidienst.
Ursprünglich schwebte der Caritas vor, den
Bewerbern mindestens zwei Ein-Euro-Jobs zur Auswahl anzubieten, weil die
Freiwilligkeit und die Wahlmöglichkeit die Motivation der Teilnehmer erhöhen.
„Aber die Verhältnisse haben sich mittlerweile fast umgekehrt“, sagt Ruth
Keseberg-Alt. „Im Moment haben wir zwei Bewerber pro Stelle.“ Der Andrang ist
groß, und die Bezahlung von rund einem Euro scheint daran nichts zu ändern.
Tatsächlich ist es durchaus möglich, dass ein Empfänger von Arbeitslosengeld II
(ALG II) mehr Geld für einen Ein-Euro-Job als für einen Mini-Job im ersten Arbeitsmarkt
bekommt. Der Betroffene bekommt das Entgelt für den Ein-Euro-Job in voller Höhe
zusätzlich zum ALG II: Arbeitet er 80 Stunden im Monat, kann er also das
gesamte Geld ohne Abstriche behalten. Im ersten Arbeitsmarkt dagegen werden
seine Sozialleistungen gekürzt, so dass er für einen Verdienst von 80 Euro
tatsächlich rund 600 Euro netto verdienen müsste. In einem Interview im
Westdeutschen Rundfunk schätzte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement,
Arbeitslose könnten auf diesem Wege zusammen mit der Grundsicherung ein
Nettoeinkommen von über 850 Euro pro Monat erzielen. Wie realistisch diese
Prognosen sind, bleibt allerdings noch abzuwarten.
Mehr
als ein Hungerlohn
Aber nicht nur das Geld
bringt die Arbeitslosen
dazu, für einen
Euro die Stunde für ein halbes Jahr bei der Caritas zu arbeiten. „Bei den
Bewerbern spielt auch eine gewisse Resignation nach langer Arbeitslosigkeit
eine Rolle“, erzählt Ruth Keseberg-Alt. „Diese Menschen sagen sich - Hauptsache
ich habe erst mal was und komme aus meinen vier Wänden raus. Mit den Jahren
werden diese Leute oftmals regelrecht sprachlos und ziehen sich in sich selbst
zurück.“ Durch die Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs schulen sie ihre Anpassungsfähigkeit
an den Arbeitsalltag, Durchhaltevermögen und Mobilität. Diese Fähigkeiten
können ihnen eine geregelte Tätigkeit wieder näher bringen, und das erleichtert
ihnen vielleicht einmal den Übergang in eine feste Stellung. Auch wenn Arbeiten
wie Vorlesen oder Spazieren gehen die Arbeitslosen kaum für den ersten
Arbeitsmarkt qualifizieren dürften - besser als zu Hause sitzen ist es allemal.
Außerdem organisiert das Team der
Koordinierungsstelle „Neue Chance“ der Caritas Qualifizierungsmaßnahmen für die
Teilnehmer: Angeboten werden ein Stressbewältigungskurs (denn auch ein zu viel
an Zeit bei den Arbeitslosen kann Stress auslösen), ein Kurs zur
Schuldenprävention und zum wirtschaftlichen Umgang mit Geld (denn Schulden
erschweren oft eine Anstellung im ersten Arbeitsmarkt), ein Kurs zu
"ambulanter Pflege" sowie ein Bewerbungs- und EDV-Training. Das
Interesse der Teilnehmer ist groß: „Wir alle hier in der Koordinierungsstelle
sind überrascht über die positive Stimmung, die bei den Ein-Euro-Jobbern vorherrscht.
Ich hatte mit einer innerlichen Verweigerungshaltung der Arbeitslosen gerechnet
- aber davon keine Spur“, stellt Ruth Keseberg-Alt erfreut fest. "es gibt
übrigens ein sehr treffendes Zitat von Eugen Roth", setzt sie nachdenklich
hinzu: "Ein Mensch ist plötzlich wie verwandelt, wenn man ihn wie einen
Mensch behandelt.“
Petra Markus
Weitere Informationen:
Liliane Müller-Warson (0 30) 6 66 33-10 52 oder (01 77) 7 13 95 03