Von außen unterscheidet sich
die Jugendstilvilla in Berlin-Mitte auf den ersten Blick nicht von anderen
Häusern dieser gutbürgerlichen Wohngegend: Vierstöckig, große Fenster, saniert,
alter Baumbestand und ein Kinderspielplatz im Hof. Der Lichtmelder, der bei
Dunkelheit bei jeder Bewegung den Eingangsbereich hell erleuchtet, ist nichts
Ungewöhnliches in der Stadt. Dass die Haustür mit Panzerglas gesichert ist,
merkt niemand. Auf den zweiten Blick ist der Zaun um das Haus herum dann aber
doch höher als in der Nachbarschaft. Die Adresse ist geheim. Das soll die rund
20 Frauen mit ihren 30 Kindern schützen, die zur Zeit hier leben: Sie sind im
Caritas-Frauenhaus, weil sie vor ihren gewalttätigen Partnern geflüchtet sind.
Gewalt ist für viele Frauen
in Deutschland alltäglich. Der Tatort: meist die eigene Wohnung; der Täter: der
frühere oder aktuelle Partner. Das verdeutlicht die erste repräsentative
Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland aus dem Jahre 2004. „Die
Ergebnisse ... zeigen
auf, dass mindestens
jede vierte Frau (25 %) im Alter von 16 bis 85 Jahren, die in einer
Partnerschaft gelebt hat, körperliche ... oder ... sexuelle Übergriffe durch
einen Beziehungspartner ein- oder mehrmals erlebt hat.“
[1]
Gewalttätig ist aber nicht nur der prügelnde oder vergewaltigende Mann. 42
Prozent der befragten Frauen gaben an, psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein,
die von eingeschüchtert Werden oder aggressivem Anschreien über Drohungen und
Demütigungen bis hin zu Psychoterror reichen kann. Die Kinder sind praktisch
immer Zeugen der Gewalt gegen die Mutter. Oft werden sie vom Vater auch als
zusätzliches Druckmittel benutzt.
Bevor sich eine Frau mit der
Bitte um Hilfe an die Polizei, einen Arzt oder direkt an ein Frauenhaus wendet,
hat sie meist schon viele Versuche unternommen, ihre Situation zu verändern.
„Gestern kam eine Frau im Rentenalter zu uns, die hat die Schläge ihres Mannes
30 Jahre ausgehalten“, erzählt Gabriele Kriegs, Leiterin des
Caritas-Frauenhauses in Berlin. Ihr fällt auf, dass in den letzten Monaten
häufiger ältere Frauen Zuflucht im Frauenhaus suchen als früher, wobei nach wie
vor die meisten zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. Im vergangenen Jahr kamen
insgesamt rund 400 Frauen in die Jugendstilvilla in Berlin-Mitte, etwa die
Hälfte von ihnen waren Migrantinnen. In Deutschland gibt es insgesamt 56
Frauenhäuser in katholischer Trägerschaft, die der Sozialdienst katholischer
Frauen (SkF) auf Bundesebene vertritt. Im Jahr 2003 fanden in diesen Häusern rund
3.500 Frauen mit ebenso vielen Kindern Zuflucht vor Misshandlung. Die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer lag bei einem Monat, wobei die Spanne
zwischen einem Tag und einem Jahr lag. In dieser Zeit regeln die Frauen die
Trennung vom gewalttätigen Partner und suchen eine eigene Wohnung. „Die Frauen
sind oft gar nicht so fertig wie man glaubt und wollen ihre Angelegenheiten so
schnell wie möglich regeln“, so Gabriele Kriegs. „Sie haben die Hölle hinter
sich und haben mit dem Gang ins Frauenhaus den ersten Schritt nach vorne
gemacht.“
Es geht vorwärts und
aufwärts, und wenn die Frauen bleiben, helfen die Mitarbeiterinnen des
Frauenhauses dabei (rund ein Drittel der Frauen kehrt wieder in ihre alte
Beziehung zurück). Es gilt, schnell viele Fragen zu klären, wobei es sich oft
darum dreht, wie sich die Frau ohne den Mann ernähren kann: Wie kann die Frau
Unterhaltsansprüche geltend machen? Kann sie Sozialhilfe beantragen? Wie
beantragt sie das Sorgerecht für die Kinder? Während die Mütter in sozialen,
finanziellen, rechtlichen und medizinischen Angelegenheiten beraten werden,
können die Kinder im Frauenhaus spielen und werden tagsüber beaufsichtigt. Wenn
nötig wird eine Psychologin oder eine Erziehungsberatung hinzu gezogen. Die
Mitarbeiterinnen des Frauenhauses – Sozialarbeiterinnen und –pädagoginnen,
Erzieherinnen – sowie eine Psychologin und eine Rechtsanwältin, die als
Honorarkräfte bei Bedarf um Mitarbeit gebeten werden - arbeiten als Team eng
zusammen und sind auch auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Im Jahr
2003 arbeiteten in 55 Frauenhäusern in katholischer Trägerschaft insgesamt 642
Frauen ehrenamtlich mit, meist - wie auch in Berlin - in der Rufbereitschaft,
denn das Telefon des Frauenhauses ist rund um die Uhr besetzt, auch an
Wochenenden und Feiertagen.
[2]
Alle Frauen leben im
Frauenhaus selbständig und bleiben verantwortlich für sich und ihre Kinder. Sie
müssen sich in der Gemeinschaftsküche selbst verpflegen, müssen für Sauberkeit
und Ordnung in den Gemeinschaftsaufenthaltsräumen sorgen. Der geschützte Raum
bietet ihnen die Möglichkeit, angstfrei über ihre weitere Lebensplanung
nachzudenken.
In der
Jugendstilvilla in Berlin-Mitte sind die
Frauen mit ihren Kindern nicht nur sicher - sie können sich in ihrer neuen
Bleibe auch noch wohl fühlen: „Viele Leute stellen sich Frauenhäuser verhunzt
und runter gekommen vor. Bei uns treffen die Schutz suchenden Frauen auf eine
angenehme Atmosphäre, fast ein wenig in Richtung Landhaushotel. Die Frauen
haben nicht das Gefühl, mit ihren Kindern in der Gosse zu landen“, so Gabriele
Kriegs. Knapp ein Drittel der Kosten übernimmt der Caritasverband mit
Eigenmitteln und indem er das Haus mietfrei zur Verfügung stellt. Den Rest
finanziert die Berliner Senatsverwaltung.
Der Weg ins Frauenhaus
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Die Telefonnummer des
Frauenhauses steht im
Telefonbuch (siehe
„Frauenhaus“
) oder kann beim
örtlichen
Caritasverband
bei der
Polizei
oder beim
Jugendamt
erfragt werden.
Eine Liste aller 56 Frauenhäuser in katholischer Trägerschaft findet sich im
Internet:
skf-zentrale.de/html/buh_frauenhaus_telefonverzeich.html
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Die Frauenhäuser sind
24 Stunden am Tag besetzt. Ruft eine Frau an und bittet um Hilfe, wird sie am
Telefon zunächst beraten. Ist die Situation akut, wird ein Treffpunkt
abgesprochen, wo sich eine Mitarbeiterin des Frauenhauses mit der Frau trifft.
Die Adresse des Frauenhauses wird zum Schutz der dort lebenden Frauen vorher
nicht bekannt gegeben.
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Frauen können mit ihren
Kindern vorübergehend kostenlos im Frauenhaus in einem geschützten Raum leben.
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Die Kinder werden betreut.
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Die Frauen werden
psychosozial sowie in finanziellen,
rechtlichen und medizinischen Angelegenheiten beraten.
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Der Weg ins
Caritas-Frauenhaus steht den Frauen unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer
Staatsangehörigkeit offen.