BRANDENBURG a.d. Havel. "Geheim-Gutachten der Wirtschaftsweisen: 30 Prozent weniger Hartz IV?" so prangt es in den bekannt großen Lettern von der Titelseite der BILD-Zeitung neben dem Bäcker in Brandenburg-Hohenstücken. Rings herum nichts als Plattenbauten, einige Fassaden mit neuer Farbe gestrichen, die meisten aber mit bröckelndem Putz. Die Straßen leer, hier und da steht jemand am Fenster oder auf dem Balkon und raucht in den grauen Morgenhimmel. Keine Arbeit, kaum Kontakte, auf jeden Fall keine Perspektive. "Abends, wenn ich nach Hause gehe", sagt eine Caritas-Kollegin vom CaT, dem "Club am Turm, offenes Jugendhaus", "dann sehe ich in den Fenstern der Häuser immer weniger Licht. Die ganze Häuser-Zeile neben unserem CaT wird noch bis Ende des Jahres abgerissen. Job-Tiger von Caritas waren mit ihrem Büro hier die letzten Mieter. Jetzt ist alles leer. Zu DDR-Zeiten lebten in Brandenburg mal 100 000 Einwohner. Jetzt sind es nur noch 70 000 mit weiter fallender Tendenz. Die Leute, vor allem die jungen, verlassen die Stadt und ziehen der Arbeit nach."
Der CaT mit seinem Jugendcafé für die 12- bis 27-jährigen und seinem Kid's Treff für die 8- bis 15-jährigen, eines der noch wenigen offenen Jugendtreffs in Brandenburg wurde vor dreizehn Jahren vom Caritasverband übernommen, damals unter der Leitung des katholischen Priesters, Sozialarbeiters und Streetworkers, Pater Pauly, von den Redemptoristen. Wie alle Einrichtungen dieser Art kämpft auch der CaT ums Überleben. Nur etwa zweihundert Meter weiter gibt es noch ein offenes Jugendhaus vom Humanistischen Verband. Wer überlebt, Ihr oder wir? Unter diesem Druck stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des CaT.
Dabei geht es nicht um das bloße Überleben einer sozialen Einrichtung und die Arbeitsplätze, es geht vor allem um die Menschen, um die Kinder und die Jugendlichen. Für die lassen sich die Caritas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter eine Menge einfallen. Einfach beeindruckend – fand der Autor. Welche Chancen sich den Kindern und Jugendlichen hier bieten! Wenn man sich einfach mal das Theater-Projekt des CaT in der Grundschule in der Nachbarschaft ansieht. Wirklich faszinierend! Die Idee des nächsten Theaterstücks stammt von den Kindern selber. Mike (der Name ist selbstverständlich geändert!) hatte eine Idee, brachte sie zu Papier. Alle fanden sie toll. Aus dieser Idee machten die Kinder und Jugendlichen Szenen, Dialoge, auf die mitspielenden Schülerinnen und Schüler je nach ihren Fähigkeiten zugeschnitten. Die Bühnenausstattung, die Kostüme, die Beleuchtung und ... und ... müssen erstellt werden, bis man sich dem begeisterten Publikum zeigen kann. "Was, mein Kind tritt da auf? Und spricht vor so vielen Zuschauern Texte? Und spielt eindrucksvoll dazu?" Manche Eltern kriegen sich nicht wieder ein vor Stolz und Begeisterung darüber, was ihr Kind dort erreicht hat. Eine wunderbar sinnvolle Beschäftigung am Nachmittag in der Ganztagsschule! Was sie alles dabei lernen! Schreiben, sprechen, auftreten. Ihr Selbstbewusstsein wächst. Ein Zirkus-Projekt soll folgen. Was????? Ja, natürlich nicht mit echten Pferden, aber mit Clowns, mit verkleideten Tieren!
"Igitt, das Essen ist ja warm!" – Auch das ist Realität in großen und kleinen Städten mitten in Deutschland im Jahr 2006! Es gibt Kinder, die kein warmes Essen kennen, die nicht wissen, was sie mit diesem Handwerkszeug da sollen, mit Messer und Gabel. Ach, essen wir doch lieber gleich mit der Hand, die allerdings schmutzig wäre, hätten die Erzieherinnen und Erzieher nicht vorher darauf bestanden, sie zu waschen. 19 Mädchen und Jungen waren neulich da – bei der "KINDERKÜCHE" des Clubs am Turm. Kinder, die keine warme Mahlzeit zu Hause gekocht bekommen, geschweige denn, dass sie an einem schön und sauber gedeckten Tisch mit anderen Familienangehörigen sitzen und gemeinsam essen. Das gibt es mitten in Deutschland! Immer dienstags und donnerstags um 14 Uhr servieren zwei ehrenamtliche Frauen den Kindern ein frisch gekochtes und gesundes Mittagessen – für 30 Cent, inklusive Nachschlag. Wenn die Kinder sich gestärkt haben, können sie unter Aufsicht und mit Hilfe Hausaufgaben machen. KINDERKÜCHE, ein Projekt der Caritas und der Brandenburger Tafel seit dem Frühjahr dieses Jahres. Zweimal in der Woche liefert die Tafel frische Lebensmittel, die dann jeweils frisch für das Mittagessen zubereitet werden. Und wenn jemand von den kleinen Gästen Geburtstag hat, dann gibt es natürlich ein kleines Extra und für alle eine Kerze und eine Blume auf dem Tisch. Ja, so wichtig sind dem CaT Kinder und Jugendliche. Und warum nur dienstags und donnerstags. Die Kinder würden doch sicher auch an den übrigen Tagen gerne ein warmes Mittagessen verspeisen. Das ist erst der Anfang. Noch kann die Tafel nicht für jeden Tag in ausreichendem Maß liefern, und ob die ehrenamtlichen "Köchinnen" auch jeden Tag kommen könnten – das alles muss erst noch geklärt werden. Aber man will noch mehr. Warum sollte man nicht die Mütter und Väter der Kinder einladen, gemeinsam zu kochen und dann gemeinsam zu essen. Das wäre doch auch für sie ein wichtiges Lernfeld für ihr Leben – auch wenn die Mittel gering sind. Aber das alles ist noch Zukunftsmusik. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas denken immer schon weiter – was hilft den Menschen, selbstständig, eigenverantwortlich und für ihre Kinder verantwortlich ein menschliches Leben – wenn auch unter schweren Bedingungen - zu führen? "Wenn es uns gelingt, zumindest einigen Kindern und Jugendlichen mit der Art unserer Angebote und der am Essenstisch familiären Atmosphäre das Gefühl zu vermitteln, wichtig und liebenswert zu sein, sind das schon einmal die besten Voraussetzungen motivierter an das Leben heran zu gehen. Das heißt, viele kleine positive 'Puzzlestückchen' können ein schönes großes Gesamtbild entstehen lassen. Mit unseren Hilfsangeboten wollen wir dazu beitragen", sagt die Leiterin der Einrichtung, Cecilie Anette Templin.
Joachim Mordeja