Pressemitteilung des Diözesan-Caritasverbandes Berlin |
Ein Jahrhundert für Menschen unterwegs |
BERLIN. Am 16. Mai blickt der katholische Zweig der Bahnhofsmission in Berlin in Rahmen eines Festaktes im Charlottenburger Frauenbundhaus auf sein 100-jähriges Bestehen zurück. Ab 15.00 Uhr werden die Bahnhofsmissionen Zoo und Ostbahnhof ihre Türen allen Interessierten öffnen. Ursprünglich zum Schutz gegen Mädchenhandel und Prostitution ins Leben gerufen, hat die Bahnhofsmission in ihrer hundertjährigen Geschichte je neue Lösungen für Menschen in verschiedensten Nöten finden müssen. Heute versteht sie sich als zentrale "Sozialstation am Bahnhof", die sich der Reisenden annimmt, die unterwegs in Not geraten und nicht ohne Hilfe zurechtkommen. Im Zuge der Industrialisierung kamen nach Auskunft der Bahnhofsmission um die Jahrhundertwende Scharen von Mädchen und jungen Frauen aus ländlichen Gebieten insbesondere in die Großstadt Berlin, um hier Arbeit und Brot und ein Zuhause zu finden. Der Zustrom Arbeit suchender Mädchen belief sich um 1900 herum auf 40 000 in einem einzigen Monat. Das rief einflussreiche Damen aus dem Bürgertum auf den Plan. Sie beobachteten, dass auf den Bahnsteigen Männer die jungen unerfahrene Frauen in die Prostitution und ausbeuterische Arbeiten in Haushalten vermittelten. Als Initiative gegen dieses "Schleppertum" kam es zu Beginn des Jahres 1900 zur Gründung der katholischen Bahnhofsmission. Wohlhabende Damen sorgten sich aktiv darum, den jungen Frauen Arbeit und Unterkünfte in sicheren Verhältnissen zu verschaffen. Zu den ersten Pionierinnen gehörten auch katholische Ordensfrauen, Marienschwestern, aus Breslau, die das Leben in den zwischenzeitlich eingerichteten Mietwohnungen und Mädchenheimen unter ihre Leitung nahmen und sogar in der Stellenvermittlung tätig wurden. Die Chronik der Bahnhofsmission in Berlin, in der mittlerweile die evangelische und katholische Kirche, vertreten durch die Berliner Stadtmission und den Verband IN VIA, eng zusammenarbeiten, liest sich wie in keiner anderen Stadt wie ein Auszug aus der deutschen Geschichte. Neben den beiden Weltkriegen und seinen bitteren Folgen - auch für die Bahnhofsmission – ist als nächste Etappe die Nachkriegszeit mit ihren Entbehrungen, aber auch der Auf- und Ausbau der Bahnhofsmission zu nennen. Die ersten Gastarbeiter kamen und halfen mit, den Aufschwung Deutschlands zu fördern. Hier war besonders die Mission am Berliner Bahnhof Zoo Sammelstelle, wo über Sprachschwierigkeiten hinweg und bei Problemen mit fehlenden Papieren weitergeholfen wurde. Wie nirgends woanders war an den großen Bahnhöfen Berlins die Teilung Deutschlands spürbar. Hier wiederum war die Bahnhofsmission Zoo der Ort der Begegnung der "Menschen von hüben und drüben". Hier kamen politische Flüchtlinge und Spätaussiedler im "gelobten Land" an. In der Folge wurden in den 50er Jahren Mitarbeiterinnen der Bahnhofsmission unter dem Vorwurf der Spionage in der damaligen DDR festgenommen. In der gesamten "Sowjetischen Besatzungszone" wurden sämtliche Bahnhofsmissionen verboten. Die einzige Ausnahme war die Mission am Berliner Ostbahnhof. Sie durfte außerhalb des Bahngeländes in einer Baracke arbeiten, aber keinen Dienst am Bahnsteig tun. Eher nur geduldet als von Sympathie begleitet wurde von den DDR-Organen zugelassen, dass die Bahnhofsmission in aller Stille die Menschen vorsorgte, die nicht ins System passten. Der Einschnitt für die Stadt Berlin war die Errichtung der Mauer am 13. August 1961. Gezwungenermaßen gingen die Besucherzahlen nun rapide zurück. Zwischenzeitlich kamen lediglich Besuche von West nach Ost in Frage. In den 70er-Jahren prägten, bedingt durch die Reiseerleichterungen, Rentner aus Ost-Berlin die Arbeit der Bahnhofsmission. Es folgten nun Jahre der Konsolidierung und damit auch der Auf- und Ausbau der Bahnhofsmissionen im gesamten Bundesgebiet. Es entstanden zahlreiche Institutionen, die ein vielschichtiges Netzwerk sozialer Hilfsangebote zur Weitervermittlung von Hilfesuchenden darstellten. Der Höhepunkt war der Fall der Berliner Mauer im November 1989. Besonders in der Bahnhofsmission Zoo fanden volksfestähnliche Feiern von Menschen aller Altersgruppen statt, die sich nun ohne Passierschein begegnen durften. Für die Arbeit vor Ort bedeutete das ab sofort gemeinsame Dienstbesprechungen und Fortbildungen sowie den Aufbau von Bahnhofsmissionen in den neuen Bundesländern. Nach hundert Jahren gehören heute nicht mehr nur Mädchen und junge Frauen zu den Hilfe suchenden Besuchern der Bahnhofsmission, sondern alle "Menschen unterwegs", die auf Unterstützung durch andere angewiesen sind: Behinderte, alte und gebrechliche Menschen, Kranke, Menschen mit psychischen Störungen. Ausländer, Flüchtlinge, Aussiedler. Insgesamt weist die Statistik zwar einen leichten Rückgang der Hilfesuchenden aus, mit 222 000 Besuchern 1999 am Bahnhof Zoo (gegenüber 246 000 im Jahr 1996) ist die Bahnhofsmission nach wie vor ein bedeutender Indikator menschlicher Not. Die Mission am Bahnhof Berlin-Zoologischer Garten, in der Charlottenburger Jebensstraße, ist rund um die Uhr dienstbereit und bietet 17 Betten zur kurzfristigen Übernachtung an. Dem Bedarf angepasst ist die Mission am Ostbahnhof, Erich-Steinfurth-Straße, täglich von 8.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier keine mehr. Die Bahnhofsmissionen am Bahnhof Zoo und am Ostbahnhof arbeiten mit insgesamt 16 Festangestellten, 7 Zivildienstleistenden und 25 Ehrenamtlichen. Die Bahnhofsmissionen werden heutigen Anforderungen entsprechend von einer Diplomsozialpädagogin geleitet. Sie wird je zur Hälfte von dem katholischen und evangelischem Träger bezahlt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Bahnhofsmission wird ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Flexibilität und Belastbarkeit abverlangt. Diese Eigenschaften werden gefördert in regelmäßigen Dienstbesprechungen und in regionalen und überregionalen Fortbildungen aber auch bei gelegentlichem geselligem Beisammensein. Engste Partner der Bahnhofsmissionen sind der Senat von Berlin und die Deutsche Bahn AG. Beide Institutionen unterstützen die Arbeit nach ihrer je eigenen Intention. 1995 regelten die Deutsche Bahn AG und die Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmissionen in Deutschland ihre Zusammenarbeit in einem Mustervertrag dahingehend, dass der Bahnhofsmission als diakonische Aufgabe christlicher Kirchen die unmittelbare soziale Hilfe für Menschen, die sich im Bahnhofsbereich aufhalten, obliegt. Zur Erfüllung dieser Aufgabe stellt die Bahn AG am Bahnhof Zoo und Ostbahnhof kostenlos Räume zur Verfügung und übernimmt die anfallenden Energiekosten. Durch die zunehmende Vermarktung der Bahnhöfe und der damit in Zusammenhang stehenden "3 S–Slogans" der DB AG "Sicherheit, Sauberkeit, Service" entstehen hierbei in der Praxis nicht selten Konflikte. Vom Senat für Berlin erhält die Bahnhofsmission finanzielle Hilfe für die Betreuung derjenigen Menschen im Bahnhofsbereich, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, die sie aus eigener Kraft nicht bewältigen können (§ 72 BSHG). Auch diese Unterstützung ist unabdingbar, denn die jährlichen Zuschüsse der kirchlichen Träger haben ein Limit erreicht, was auf Dauer den Dienst der Bahnhofsmission nicht unberührt lässt. Weitere Informationen: Sigrid Funke, IN VIA, (0 30) 8 57 84-2 86
Festakt: Dienstag, 16. Mai 2000, 10.00 Uhr, Frauenbundhaus, Wundtstraße 40-44, 14057 Berlin |
Pressemitteilung
Ein Jahrhundert für Menschen unterwegs
Erschienen am:
12.05.2000
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