"Bevor du dich daran machst, die Welt zu verbessern, gehe dreimal durch dein eigenes Haus" heißt es in einem chinesischen Sprichwort. Das beschreibt treffend das aktuelle Fusionsprojekt der vier Caritasverbände im Erzbistum Berlin: Sie wollen sich zusammentun, um notwendige Sanierungsschritte mit der Entwicklung einer Neuorganisation zu verbinden, die eine wirkliche Erneuerung ermöglicht. "Wir müssen die ‚Zeichen der Zeit’ verstehen und die Caritas im Erzbistum Berlin zukunftsfähig machen", so Diözesan-Caritasdirektor Franz-Heinrich Fischler.
Sparzwänge beherrschen die Diskussion
Ständig ist heute von Etatlöchern in den öffentlichen Haushalten, von Defiziten der Sozialversicherungsträger, von neuen Varianten des Umbaus des Sozialstaates und Kürzungen der Sozialleistungen die Rede – wem wird dabei nicht schwindelig? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Caritasverbänden zeigen sich dabei besonders sensibel. Sie sind nicht nur selbst betroffene Bürgerinnen und Bürger, sondern arbeiten in einem Wohlfahrtsverband, dessen Wirken für die Menschen von diesen Entwicklungen bestenfalls herausgefordert, meistens jedoch massiv beeinträchtigt wird.
So haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten Jahren die dramatischen Veränderungen und Turbulenzen in den sozialen Arbeitsfeldern hautnah miterlebt. Sparzwänge, Personalabbau, Konkurrenz zu gewerblichen Unternehmungen, Rivalität von verschiedenen Anbietern sind Stichworte, die diese Entwicklungen auf den Punkt bringen.
Die Caritas protestiert und handelt
Darauf haben die Caritasverbände im Erzbistum in vielfältiger Weise reagiert: die Kontakte zu Regierungen, Ministerien und in die Parlamente der Landesregierungen wurden genutzt, um drohende Einschnitte ins soziale Netz abzumildern. Finanzielle Kürzungen bei der Refinanzierung der Beratungsdienste konnten in gewissem Maß durch Umstrukturierung der verbandlichen Arbeit kompensiert werden. Noch vorhandene Effizienzreserven wurden dabei aufgelöst, die Arbeit in vielen Diensten auf weniger Schultern verteilt, Personalstellen abgebaut.
Aber reicht das? Die Direktoren und Geschäftsführungen der vier Caritasverbände im Erzbistum Berlin meinen "Nein!" Denn in dieser Situation drängen sich vielmehr weitere Fragen auf: Wie organisiert sich die verbandliche Caritas so, dass die Fachlichkeit und Leistungsfähigkeit ihres Handelns gesichert ist? Wie gelingt es flexibler auf sich ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren? Auf welche Weise werden Leitbild und Profil caritativen Handelns geschärft und die Weiterentwicklung der verbandlichen Arbeit wirtschaftlich solide gesichert? Ermöglichen die Organisationsstrukturen der Caritasverbände im Erzbistum Berlin effektives und den eigenen Zielsetzungen entsprechendes strategisches Handeln? Stellt die Aufteilung der verbandlichen Caritas in drei Landesverbände (Caritasverband für Berlin, Brandenburg, Vorpommern) und einen Diözesancaritasverband eine gute strukturelle Basis für flexibles und innovatives Handeln dar?
Neue Formen schaffen neue Kräfte
Mit der Absicht, Antworten auf diese Fragen zu finden und dadurch die Zukunftsfähigkeit des Verbandes zu stärken, haben die Direktoren und Geschäftsführungen der vier Caritasverbände im Erzbistum Berlin im Mai dieses Jahres eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die die Strukturen überprüft und eine Fusion der vier Caritasverbände vorbereiten soll.
Ziel des Fusionsprojekts ist die Verknüpfung von notwendigen Sanierungsschritten mit der Zusammenlegung der bisher getrennten Verbände und der Entwicklung einer Organisationsstruktur, die Innovationen ermöglicht. Wahrscheinlich können viele das Wort "Innovation" nicht mehr hören. Nichtsdestotrotz steckt dahinter der starke Wunsch nach Erneuerung. Die Caritasverbände brauchen neue Formen und neue Kräfte, um die Herausforderungen in der Sozialpolitik und auf dem "Sozialmarkt" erfolgreich zu bestehen. Natürlich werden wir Bewährtes in den bisherigen Verbänden erhalten. Wir müssen gleichzeitig aber auch deutlich flexibler werden, um auf die Herausforderungen schneller und präziser zu reagieren.
Für die Organisationsveränderungen gibt es zwei Orientierungsrahmen: Zum einen sind die Grundsatzpositionen der Caritasverbände wie sie in Leitbildern und Satzungen formuliert werden, weiterhin bestimmend. Zum anderen gilt es betriebswirtschaftliche und juristische Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Dabei geht es unausweichlich darum, der gewerblichen Konkurrenz gewachsen zu sein und sicherzustellen, dass die Caritas auch in Zukunft Anwalt für Benachteiligte in unserer Gesellschaft sein kann.
Schritt für Schritt wird eine zukunftsfähige Organisation gestaltet
"Die Verbands- und Organisationsstrukturen sind auf Weiterentwicklung angelegt. Sie werden jeweils den veränderten Anforderungen angepasst." heißt es im Leitbild des Deutschen Caritasverbandes. In diesem Sinn wird jetzt Schritt für Schritt die Rahmenstruktur eines neuen Caritasverbandes im Erzbistum Berlin entwickelt.
Fünf zentrale Geschäftsfelder sind die Säulen des neuen Verbandes: die Trägergesellschaften der stationären Einrichtungen, die Kindertagesstätten, die Caritassozialstationen, die ambulanten sozialen Dienste, die Vertretung und Beratung der korporativen Mitglieder. Gesteuert wird der neue Verband vom Caritasdirektor sowie drei leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die für die strategische Ausrichtung des Gesamtverbandes in den Bereichen Personal, Geschäftsfelder und Finanzen zuständig sind. Damit werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Entwicklung der Dienste und Aktivitäten der Caritas im Bistum stärker und zielgerichteter als bisher aufeinander abzustimmen.
Aufgabe für die nächsten Wochen und Monate ist, diese grundsätzlichen Überlegungen für die Arbeitsorganisation der einzelnen Abteilungen und Referate zu konkretisieren. Im Januar 2005, so der verbandspolitische Wille, soll die Fusion der vier Verbände dann vollzogen sein. Bis dahin wird eine Vielzahl von Detailfragen bearbeitet: die Verwaltung der verbandlichen Arbeit muss zusammengeführt, die Aufgaben in den Fachabteilungen neu ausgerichtet werden. Eine Fusion bisher eigenständiger Verbände bedeutet, sich von alten Selbstverständlichkeiten und etablierten Abläufen zu verabschieden. Sie ist mit der Chance verbunden, produktive, neue Antworten zu finden.
Angst vor Veränderung? Mut zur Veränderung!
Veränderungen dieser Art lösen immer auch Fragen und Ängste bezogen auf die eigene Arbeitsplatzsituation aus. Aufgrund der Abhängigkeit der Caritas-Dienste von der Finanzierung durch die öffentlichen Haushalte wie der Sozialversicherungsträger zeichnet sich ab, dass die Aufrechterhaltung caritativer Dienste und Angebote im bisherigen Umfang auf in Zukunft nur schwer möglich sein wird. Gerade deshalb soll die Fusion der Caritasverbände, so die Überzeugung der Direktoren und Vorstandsmitgliedern, in die Lage versetzen, schnell und den Notwendigkeiten folgend zu handeln, so dass die Caritas für das Erzbistum Berlin auch in Zukunft ihrem Motto "Not sehen und handeln" treu bleibt. Die drohende Aufkündigung sozialstaatlicher Aufträge von Seiten der Landesregierungen in Berlin, Brandenburg und Vorpommern setzt die Caritas massiv unter Druck. Das Engagement und die Qualität ihrer Arbeit, das gute Image und hohe Ansehen, das caritative Arbeit in der Bevölkerung genießt und die Fähigkeit, sich den Herausforderungen aktiv zu stellen, um auch unter widrigen Umständen für eine soziale Gestaltung unserer Gesellschaft zu streiten, ist die Basis für die Zukunft caritativen Handelns. "Veränderung ist das Salz des Vergnügens", heißt es bei Friedrich Schiller. Es wäre toll, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dieser Einstellung an der erfolgreichen Umgestaltung der Caritas im Erzbistum Berlin mitwirkten.
Stefan Reinders
Leiter des Fusionsprojektes
(0 30) 8 57 84-1 44