„Die
eigentliche und wichtigste Arbeit findet in den 'Niederungen' der sozialen
Praxis statt, den Beratungsstellen und sozialen Projekten. Ich sehe heute die
Arbeit so mancher Arbeitskreise auf Bezirks- und Senatsebene kritischer als
früher.“ Die Bezirksstadträtin Martina Schmiedhofer erntet beifälliges Lächeln.
So viel Selbstkritik kommt an beim durchweg fachkundige Publikum der
gemeinsamen Tagung von AWO und Caritas zum Thema „Ältere Migranten in der
Altenhilfe“. Etwa 70 interessierte Zuhörer haben sich im Tagungsraum des St.
Joseph-Krankenhauses in Berlin-Tempelhof eingefunden. Sie kommen aus Bezirks-
oder Senatsverwaltung, sind Abgeordnete oder Migrationsbeauftragte, Anbieter
von Pflegediensten oder Träger von Senioreneinrichtungen.
Anlass
für die Tagung ist das fünfjährige Bestehen eines Kooperationsprojektes von AWO
und Caritas, dass durch sozialpolitische Initiativen und fachliche Beratung das
öffentliche Bewusstsein für die Belange älter werdender Migranten schärfen
will. Das Wort Migranten bezeichnet dabei alle Menschen mit einem
fremdsprachlichen und/oder anderen kulturellen Hintergrund, also türkische
Mitbürger genauso wie russischstämmige Deutsche. Im Fokus des Projektes und
auch der Tagung steht die bessere Vernetzung der vielfältigen Angebote für
ausländische Mitbürger mit Angeboten der Altenhilfe.
Das
Projektteam macht in seinen Beiträgen deutlich, dass es einerseits bereits
beachtliche Erfolge beispielsweise in der interkulturellen Öffnung von
Seniorenbegegnungsstätten gibt, in der ambulanten und stationären Pflege aber
noch erheblicher Nachholbedarf bestehe, obwohl viele ältere Migranten ambulant
gepflegt würden. Migranten seien im Alter eher pflegebedürftig als ältere
Deutsche, da sie häufig harten körperlichen Tätigkeiten nachgegangen seien. Diesem
Umstand würden zunehmend auch von Migranten selbst
gegründete Pflegedienste Rechnung tragen, die Pflegekonzepte
anböten, welche Rücksicht auf die speziellen Bedürfnisse dieser Seniorengruppe
nehmen.
Obgleich
auch die großen Wohlfahrtsverbände Caritas, Arbeiterwohlfahrt und das Deutsche
Rote Kreuz die Notwendigkeit spezifischer Angebote für ältere Migranten erkannt
haben, reichen entsprechende Initiativen bisher kaum über erste Anfänge hinaus
und sind häufig regional zersplittert.
Karin
Korte, Migrationsbeauftragte des Bezirksamtes Neukölln und Hartmut
Caemmerer,
Mitarbeiter im Büro des
Beauftragten
für Integration und
Migration des Senats sowie Martina Schmiedhofer
als kompetente Podiumsteilnehmer sind sich denn auch gar nicht
so sicher, welche Wünsche ältere Migranten haben, wenn sie pflegebedürftig
werden. Es wird deutlich, dass die Betroffenen noch mehr als bisher in die
Planungen mit einbezogen werden müssten. Die Vorstellung von der „türkischen
Großfamilie, die sich um alle Belange kümmert“ hält Karin Korte auf jeden Fall für
eine weit verbreitete Legende. Es gäbe viele, allein stehende alte Migranten,
die auf die Hilfe des deutschen Pflege- und Gesundheitssystems angewiesen
seien. Und Meltem Başkaya ergänzt im Gespräch, dass viele Migranten gerade
im Krankheits- oder Pflegefall das deutsche, verlässliche System bevorzugen
würden. Einen Drang zu beispielsweise rein türkischen Einrichtungen kann sie
nicht ausmachen. Vielleicht erklärt dies, dass es in Berlin, immerhin der
drittgrößten „türkischen“ Siedlung, bis heute kein türkisches Altenheim gibt.
Erste Planungen islamischer Gemeinschaften liegen allerdings bereits in den
Schubläden.
Ermutigende
und anerkennende Worte für die bisherige Arbeit des Kooperationsprojektes
findet zum Schluss die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner. Sie unterstützt das
Anliegen von Stadträtin Schmiedhofer, das es auch weiterhin möglich sein müsse Beteiligte
vor Ort bei der Umsetzung von Angeboten für älter werdende Migranten zu
begleiten und Ansprechpartner für Fragen und Informationen zu sein.