Auf die Kirche hört man
Die Kirche ist ein angesehener Partner der Politik. Ihre Arbeit wird geschätzt. Das machte Spandaus Stellvertretender Bürgermeister Frank Bewig gleich zu Beginn des Fachabends in der Zitadelle Spandau klar. "Helfen, wenn Hilfe benötigt wird. So habe ich die Kirche erlebt", sagte er. "Nun geht es darum, noch enger, noch definierter zusammenzuarbeiten."
Damit setzte Frank Bewig den Ton für die Veranstaltung, zu der Vertreter der Caritas, des Erzbischöflichen Ordinariats, der katholischen und evangelischen Kirche sowie politische Vertreter aus Spandau und dem Havelland zusammengekommen waren. Frank Bewig weiß, wovon er spricht. Er war früher für Soziales zuständig und kümmert sich derzeit um Bildung, Kultur und Sport im Bezirk. Als Lokalpolitiker hat er ein offenes Ohr für die Menschen und erfährt, was sie umtreibt. Das wiederum verbindet ihn mit Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin. "Wir kriegen mit, was die Menschen bewegt," betonte sie. "Weltpolitik, steigende Preise, Altersarmut, Pflege im Alter." Die Caritas setze sich nicht nur dafür ein, dass die Menschen Hilfe bekämen, sondern arbeite auch an den Ursachen. Mit ihren Netzwerken wollten Kirche und Caritas in die Gesellschaft hineinwirken und sich nicht in die Sakristeien zurückziehen. "Caritas als Nächstenliebe ist bei jedem Menschen im Herzen", sagte Ulrike Kostka. "Es ist etwas, was uns zutiefst verbindet, interreligiös und über die einzelnen Weltanschauungen hinaus. Wir Katholiken haben die Caritas nicht gepachtet." Caritas könne jedoch nur nachhaltig wirken, wenn man zusammenarbeite.
Gregor Kempert, der Spandauer Bezirksstadtrat für Soziales und Bürgerdienste ,bestätigte: "Wir kommen zwar aus unterschiedlichen Bereichen, aber die Caritas verbindet uns als innerer Kompass." Er warnte vor einer gesellschaftlichen Spaltung im Bezirk. Bei den sozial Benachteiligten dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass ihnen neue Hilfsbedürftige Konkurrenz machten nach dem Motto "Wir gegen die Ukraine-Geflüchteten."
Stefan Kröger, Mitglied des Pastoralausschusses Spandau Nord/Falkensee, begreift sich als verbindende Klammer zwischen den Wohlfahrtsverbänden und der Politik. In Siemensstadt habe man eng zusammengearbeitet, etwa im Senioren- und Pflegebereich. Die Caritas müsse stets gut informiert und vorbereitet sein. Nur dann könne sie sich rechtzeitig in Projekte einklinken. Deshalb schlug er ein Kommunikationsformat vor, um gemeinsame Vorhaben zu diskutieren.
Nach diversen Impulsreferaten konnten sich die Gäste auf dem "Markt der Möglichkeiten" über verschiedene Angebote und Initiativen von Kirche und Caritas informieren.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde schnell klar, wo die Chancen und Herausforderungen des Zusammenwirkens von Kirche, Caritas und Politik liegen. Bernadette Feind-Wahlicht vom Fachbereich Caritas im pastoralen Raum und Jannis Wlachojannis, 15 Jahre lang Mitarbeiter der Caritas und heute Geschäftsführer der KINDERHILFE e.V., führten kompetent und anregend durch den Abend. Dabei ging es vor allem um die Bereiche Betreuung und Beratung. Dort ist der Bedarf weit größer als das Angebot. Wie geht die Politik damit um?
Frank Bewig, Stellvertretender Bürgermeister in Spandau, stellte klar: "Der Staat muss stark sein und Grundanforderungen erledigen, aber ergänzend Engagement von anderen Institutionen annehmen." Damit meinte er auch die Einrichtungen der Kirche und Caritas in Spandau und in dem nahen Havelland.
In der Suchtberatung in Spandau bräuchte man zum Beispiel mehr Geld und mehr Personal, forderte die Caritas-Bezirksbeauftragte für Spandau und Leiterin des Caritas-Beratungszentrums Spandau, Martina Treptow. "Wir haben viele ältere Klienten", sagte sie. "Die Infrastruktur ist schlecht, die Kollegen und Kolleginnen gehen zu den Klienten nach Hause. Das kostet viel Zeit und Personal." Deshalb forderte sie Unterstützung von der Politik. "Wir stehen vor der Aufgabe, insgesamt drei bis vier Milliarden Euro einzusparen," erwiderte Spandaus Stellvertretender Bürgermeister. "Meine Empfehlung ist, andere Dezernenten zu gewinnen, um zu schauen, ob nicht noch zusätzliches Geld vorhanden ist, das im Haushalt nicht vorgesehen war." Im Suchtbereich empfahlen er und Martina Treptow, mit der Jugendhilfe zu kooperieren.
Wolfgang Gall, Dezernent im Sozialamt, Jugendamt, in der Kinder- und Jugendförderung, im Gesundheitsamt und Amt für Ausländerangelegenheiten für das Havelland, stellte klar, dass die Arbeit der Caritas vor Ort sehr geschätzt werde, etwa in den Bereichen Kita, Senioren und Beratung. "Wenn es Sie nicht gäbe, würde vieles nicht laufen", betonte er. Er griff den Vorschlag auf, dass die Jugendsuchtberatung in Falkensee einen weiteren Standort bräuchte und zeichnete dafür im persönlichen Gespräch nach der Veranstaltung eine Perspektive auf.
Zusammenarbeit über Ressorts und über konfessionelle Grenzen hinaus - das gelte auch für die Kirche. "Wir müssen noch mehr als bisher mit anderen Akteuren kooperieren" schlug der Superintendent der evangelischen Landeskirche in Spandau Florian Kunz vor. "Etwa mit Diakonie und Gemeinden. Wir haben oft größere Räume, die wir gar nicht nutzen können."
Das sei umso wichtiger, da die Gesellschaft - gerade seit der Corona-Pandemie - vor starken Herausforderungen stehe. Die Fülle von häuslicher Gewalt habe zugenommen. Zudem hätten die Menschen mit Isolation zu kämpfen, berichtete Pfarrer Thorsten Daum, Leiter des Pastoralen Raumes Spandau-Nord/Falkensee, Dallgow-Döberitz. Es sei viel zu tun. "Auch diejenigen, die Geflüchteten helfen, brauchen Hilfe", sagte Pfarrer Florian Kunz. "Sie nehmen in ihren eigenen vier Wänden Menschen auf, die Traumatisches erlebt haben."
Die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka erwartet starke soziale Spannungen aufgrund der fortschreitenden Teuerungen. "Die Menschen haben Angst vor dieser Entwicklung - darauf müssen wir uns rechtzeitig vor dem nächsten Winter einstellen. Mit Stromsparcheck, Beratung, Kältehilfe." Ulrike Kostka ist erbost darüber, dass Ukraine-Geflüchtete immer noch nicht genügend staatliche Hilfe bekämen.
Gemeinsam kämpften Kirche, Caritas und Politik mit der "größten Hürde im Sozialwesen, der Bürokratie", meinte Katharina Berger, Beauftragte für den Landkreis Havelland, Caritas-Verband für das Erzbistum Berlin.
Spandaus Bezirksbürgermeister Frank Bewig plädierte dafür, die Bezirke zu stärken. In jeder Region solle man Stadtteilzentren errichten, um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort besser zu erkennen. Dort solle man mit der Kirche und anderen Akteuren zusammenarbeiten. "Wenn ich durch den Bezirk gehe, spüre ich, dass die Kirche aktiv ist. Sich um Einsame und Alte kümmert. Es gibt einen guten Austausch zwischen Kirche und Bezirkspolitik", betonte Frank Bewig. Die gute Vernetzung aus Spandau könne man auch in andere Stadtteile exportieren. Beim Zusammenwirken mit der Politik könnten Kirche und Caritas ihr hohes Ansehen in die Waagschale werfen. Die Caritas sei schließlich der größte Wohlfahrtsverband Deutschlands, betonte Katharina Berger, die Caritas-Beauftragte für den Landkreis Havalland. Und die katholische Kirche sei eine Institution, auf die man höre.
Text: Carmen Gräf